Ich weiß gar nicht mehr genau, welcher Gedanke damals den Ausschlag gegeben hat. Vielleicht war es diese Mischung aus Respekt und Faszination, die der Name „Ironman“ auslöst. Vielleicht die Sehnsucht, mein „erstes Mal“ auf der Mitteldistanz nicht irgendwo auf einer Wiese mit Startnummer aus dem Laserdrucker zu erleben, sondern unter einem Zielbogen, der seit Jahrzehnten Synonym für großen Triathlonsport ist. Sicher ist: Eigentlich war das Projekt schon zwei Jahre früher avisiert und grob geplant – dann kam das Leben dazwischen, wie es das manchmal tut. Aber irgendwann war der Moment da: Rügen, 70.3, Startnummer buchen, Kalender blocken, Training sortieren. Ich hätte mir ganz gewiss eine kleinere Veranstaltung aussuchen können, etwas „zum Hineinschnuppern“, übersichtlicher, weniger Logistik, weniger Glanz. Aber genau das wollte ich nicht. Ich wollte, dass es sich „anfühlt“ – professionell, groß, dicht organisiert, mit allen Lichtern und Schatten, die so ein Event mit sich bringt. Und ja: Man bezahlt ein Stück weit für die Marke. Aber man bekommt eben auch diese Bühnenerfahrung, die so schwer zu beschreiben ist, bis man selbst mit nassen Haaren und weichen Beinen über den Teppich läuft.
Anreise in Etappen – 800 Kilometer Richtung Zeitziel
Die Fahrt nach Rügen stand als erstes dick im Kalender. Geografisch bin ich zugegeben kein wandelnder Atlas; 800 Kilometer klingen abstrakt, bis das Navi sie in Stunden, Tankstopps und Staus übersetzt. Also Rad sorgsam auf den Fahrradanhänger, Tasche mit Werkzeug und Ersatzteilen griffbereit, Snacks und Wasser vorn im Auto – und los. Autobahn, Baustellen, dieser typische Reise-Rhythmus zwischen Podcast und Stille. Bis man die Brücke zur Insel nimmt, ist alles nur Transport. Ab der Brücke wird aus der Fahrt Anreise: Der Blick wird weiter, das Licht irgendwie heller, die Gedanken geerdeter. Der erste kleine Dämpfer wartete am Hotel: Partnerhotel des Veranstalters – dachte ich, da ist nun alles auf Triathleten eingestellt. An der Rezeption dann die höfliche Bitte, mein Rad im allgemeinen Radkeller abzustellen. Ich erklärte (freundlich, aber bestimmt), dass mein Rad nicht für einen Gemeinschaftskeller gedacht ist, weder versicherungstechnisch noch vom Bauchgefühl. Nach kurzer Rücksprache durfte ich es mit aufs Zimmer nehmen – so wie im Laufe des Abends offenbar alle anderen auch. Der erste Eindruck: professionell, aber nicht immer passgenau – eine Lektion, die sich durch das Wochenende ziehen sollte.
Registrierung, Expo, der erste Griff in die Organisation
Nach einem Orientierungsspaziergang – wo ist der Startbereich, wo die Wechselzone, wie läuft die Wegeführung? – ging es zur Startunterlagenausgabe. Hier merkte ich sofort, wovon viele sprechen, wenn sie die Marke „Ironman“ loben: Check-in mit Ausweis- und Startpasskontrolle, freundlicher Abgleich der Registrierung, digitales Signieren der Erklärungen (Haftung, Regeln, Datenschutz), dann ein sauber gepackter Event-Rucksack mit allem, was das Radsport- und Läuferherz braucht: die farbcodierten Transition-Bags (Rad, Lauf), Startnummern in allen Formen (Aufkleber fürs Rad, Helmnummer, Laufnummer für den Gürtel), Chip-Band, Sicherheitsnadeln, Beileger, ein paar kleine Goodies. Ich nahm den Rucksack mit so einer seltsamen Mischung aus Ehrfurcht und Pragmatismus entgegen: viel Zeug, viel System – und jetzt bloß nichts verlegen.
Im Hotel spielte ich diese altbekannte Szene, die Triathlet:innen weltweit in ihren Zimmern aufführen: Sortieren, Sichten, Kleben. Startnummern an Helm und Rad, die Laufnummer an den Gürtel, Aufkleber auf die Beutel. Ich baute mir kleine Inseln auf dem Teppich: „T1-Insel“ mit Helm, Brille, Radschuhen, Socken, Gels, Riegeln, Sonnencreme; „T2-Insel“ mit Laufschuhen, Mütze, ggf. Sockenwechsel, Ersatzpflaster, weiterer Sonnencreme. Es ist eine merkwürdig meditative Tätigkeit – man entwirrt äußere Dinge und beruhigt inneres Rauschen. Und gleichzeitig sitzt eine neue Nervosität im Nacken: Dieses Mal kommt alles in Beutel. Nicht wie früher „Wechselzone selbst aufbauen und sehen, was liegt“, sondern Tüten, zu, abgegeben, aus der Hand.
Beutel, Beutel, Beutel – und das Gefühl, etwas vergessen zu haben
Am nächsten Tag stand der Bike Check-in mit Abgabe der Transition-Bags an. Hier wurde aus „Nervosität“ kurzfristig „Sorgfältigkeit auf Anschlag“. Denn anders als bei kleineren Rennen bedeutete „Beutel abgeben“: ab jetzt keine spontanen letzten Anpassungen mehr. Wenn der Wetterbericht plötzlich kippt, wenn dir einfällt, dass die Sonnencreme fehlt, wenn du die Ersatzschnürsenkel doch gerne hättest – Pech. Die Beutel sind zudem nicht transparent; sprich, ein flüchtiger Kontrollblick ist nicht drin. Ich hielt mich an meine Listen, checkte, re-checkte, machte Fotos vom Beutelinhalt (kleiner Hack, der mir später tatsächlich Ruhe gab), und vertraute dann: Es passt. Beruhigend: In Rügen ist es erlaubt, am Wettkampfmorgen nochmal an die Beutel zu gehen. Diese Option legte sich wie ein Pflaster auf meine „Was, wenn…?“-Gedanken.
Die Wechselzone selbst war regelkonform streng: Kampfrichter kontrollierten Helme (Risse? Kinnriemen?), die Position des Rades, die ordnungsgemäße Kennzeichnung. Es hatte etwas von Flughafen-Sicherheitscheck, nur dass man hier die Flüssigkeiten mitbringen soll. Ich schlenderte im Anschluss kurz über die Expo, schaute einmal zu viel auf Laufräder, die ich nicht brauchte, und zog mich dann zurück. Der Abend vor dem Rennen ist ein fragiles Gebilde: zu viel Input, und man schläft nicht; zu wenig, und man grübelte. Ich kochte mir etwas Unaufgeregtes, stellte mir die Wecker (Plural!), packte das Nötigste für den Morgen in eine „Handtasche“ (Pumpe, Flaschen, Gels, Salz, Pflaster, etwas Bargeld) – und versuchte, früh zu schlafen. Versuchte.
Rennmorgen – Routine trifft Restnerv
Der Wettkampfmorgen hat ein eigenes Geräusch: das Klicken der Schuhplatten auf Asphalt, das Zischen der Pumpen, das Scheppern von Flaschen in Halterungen, das Murmeln unter Atem. Ich war früh in der Wechselzone, pumpte die Reifen auf, füllte Getränke nach, prüfte die Kette, kontrollierte die Bremsen. Dann ein kurzer Blick in die Beutel – alles am Platz –, und ab in den Neopren. Hier machte ich den ersten taktischen Fehler, den ich aber erst später klar benennen konnte: Ich stellte mich „fairnesshalber“ weit hinten an, in der Gruppe der langsameren Schwimmer:innen. Die Logik: Ich bin kein starker Schwimmer, also bitte niemandem im Weg stehen. Das Problem: Bei einem Rolling-Start, bei dem alle drei Sekunden drei Athlet:innen ins Wasser gehen, wartest du im Neo lange – zu lange. Du schwitzt, dein Kopf rotiert, und bis du dran bist, hat der Körper schon einen halben Sprint hinter sich. Eine kleine Linie zwischen Rücksicht und Selbstsabotage, die ich an diesem Morgen erwischte.
1,9 km Salzwasser – zäher Anfang, ehrliches Ende
Als es endlich „3…2…1“ hieß und ich über die Matte ins Wasser lief, war ich bereits „warm“ – und zwar nicht im guten Sinne. Die ersten Züge fielen schwer. Das Wasser war frisch, nicht eisig, aber klar genug, um zu wissen: Hier ist nichts zu verstecken. Ich suchte meinen Atemrhythmus, fand ihn, verlor ihn wieder, als das Feld an den Bojen enger wurde. Immer wieder schob ich kurze Brustschwimm-Passagen ein, um mich zu orientieren. Der Takt kam, ging, kam wieder. Es war nicht schön, aber es war solide. Irgendwann las ich auf der Uhr einen Block und rechnete grob: 53 Minuten, bis ich am Ausstieg war. Das fühlte sich für meine Verhältnisse langsam an. Später hörte ich von vielerlei Seiten, dass die Strecke länger gewesen sei – um gut 300 Meter – und die Strömung ungewohnt stand. Das relativiert, klar, aber im Moment des Ausstiegs zählt nur, wie man sich fühlt. Und ich fühlte: Genug Wasser. Also raus, durch die Dusche, Salz abspülen, Neo bis zur Hüfte, ab zur Tasche.
T1 – das beruhigende Mantra: Helm, Brille, Schuhe, Riegel
Die erste Wechselzone lief flüssig. Tasche schnappen, ins Zelt, Helm auf (Kinnriemen schließen!), Brille auf, Socken? Ja, heute ja, die Radrunde lang, die Zeitverschiebung minimal, die Blasengefahr real. Schuhe an, kleiner Riegel in die Trikottasche, Sonnencreme – ein schneller Film über Arme und Nacken. Startnummer blieb am Gürtel, drehte ich erst nach T2 nach vorn; auf dem Rad gehört sie nach hinten. Raus, Rad vom Ständer, zur Mount Line – und da begann der Teil des Tages, der mich mit offenen Armen empfing. Erst euphorisch, dann mit Gegenwind.
90 Kilometer, zweimal 45 – die zwei Gesichter der Insel
Die erste 45-km-Runde war ein Lehrbuch in guter Laune: Beine frisch, Strecke flüssig, die Verpflegungsaufnahme an der ersten Station klappte überraschend gut – Flasche greifen, ins System kippen, Wechsel, zack, weiter. Ich hatte das nie geübt, aber manchmal legt dir die Routine der anderen ein Muster, das du einfach abpaust. Ich saß sauber auf dem Rad, fuhr meine Zahlen, nahm Gels wie geplant, trank regelmäßig. Rügen zeigte sich freundlich.
Dann kam die zweite Runde. Und mit ihr ein Gegenwind, der nicht einfach „Wind von vorn“ war, sondern ein Dauerzustand, in dem jeder Antritt zu kurz und jeder Gedanke an „gleich wird’s besser“ zu optimistisch war. Es gibt Tage, an denen Gegenwind „nur“ wetterbedingt ist. Und es gibt Tage, an denen er dir zeigt, was du energetisch falsch geplant hast. Ich legte nach, mit einem zusätzlichen Gel, vor dem ich nicht in der Planung, aber im Gefühl war. Ich riss das Päckchen auf – und merkte, dass ich statt einer kontrollierten Öffnung eine Fontäne erwischt hatte: Gel überall. Hand, Lenker, Bremse – klebrig, unangenehm, gefährlich. Im Schreck rutschte mir die leere Verpackung aus der Hand. Ich weiß, dass Littering verboten ist, und ich hasse es, wenn Müll in der Landschaft landet. Es war keine Absicht, es war ein reflexhaftes Fallenlassen, das ich im selben Moment bereute. Ein Mitathlet wies mich zurecht – zurecht –, und ich nahm die Rüge innerlich an, während ich gleichzeitig versuchte, mit meiner Backup-Wasserflasche die Hände und den Lenker halbwegs wieder „fahrbar“ zu machen. Das funktionierte notdürftig. Beim Verstauen der Flasche im Heckhalter verlor ich sie – eine Flasche weniger, ein bisschen Wasser weniger, ein bisschen Kopf weniger.
Von da an war es Arbeit. Gegenwind, klebrige Erinnerungen, Plan B statt Plan A. Ich hielt die Leistung konservativer, schonte, wo es ging, trank, wo es ging, suchte flache Trittfrequenz statt Heldentaten. Die Gesichter um mich herum wurden härter. Einer murmelte „erst mal setzen“, als er am Verpflegungspunkt vom Rad stieg – ein Bild, das mir eigenartig Kraft gab: Ich war nicht allein mit dem Gefühl, dass diese zweiten 45 Kilometer ein anderes Rennen waren als die ersten. Ich fuhr sie zu Ende. Nicht schön, nicht schnell, ehrlich.
T2 – geordnetes Umziehen, kurzer Frieden im Zelt
Die zweite Wechselzone kann man „verheizen“ oder „nutzen“. Ich nutzte sie. Rad abgeben (danke, Helfer!), rote Tasche, Zelt, Schuhe wechseln, Startnummer nach vorn drehen, Mütze auf, Sonnencreme nachtragen (jetzt richtig), ein Schluck aus der eigenen Flasche, zwei Atemzüge im Sitzen. Dieser kurze Sitz ist Gold, wenn er kein Zelt-Urlaub wird. Ich stand auf, als die Atmung normal war, und lief los.
21,1 Kilometer – Halten statt Hetzen
Die Beine waren erwartungsgemäß stumpf, aber nicht taub. Ich kenne dieses Gefühl: Die ersten 800 Meter sind ein Vertrag mit dem Körper – ich verspreche ihm, ihn nicht zu quälen, und er verspricht mir, mich nicht zu verlassen. Ich lief ruhig an, nahm an der ersten Verpflegung Wasser, spülte Salz aus dem Mund, kippte zusätzlich Wasser über den Nacken. Ich hatte mir mental Abschnitte gebaut: bis zur nächsten Ecke, bis zur nächsten Bandenschlange, bis zur nächsten Musik. Ich blendete die Uhr phasenweise aus und achtete auf Schrittfrequenz, Arme, Atmung. Der Gegenwind vom Rad lag wie ein Schatten auf den Beinen, aber die Zuschauer lichteten ihn auf. Ich sah bekannte Gesichter am Rand, hörte meinen Namen, richtete mich auf, lief sauber, wenn ich an ihnen vorbeikam – nicht aus Eitelkeit, sondern aus diesem seltsamen Wunsch heraus, zu zeigen, dass ich noch drin bin.
Ich hatte mir unterwegs die „Was-wäre-wenn“-Frage gestellt: Wäre ich weiter vorn geschwommen, wäre ich früher aufs Rad gekommen, hätte ich weniger Gegenwind erwischt? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es ist die Sorte Frage, die am Rennmorgen Gift und am Abend Folklore ist. Jetzt galt: laufen. Keine Rekorde, keine Mathe, nur durchziehen. Ich pendelte mich auf ein Tempo ein, das ich auf jedem zweiten Kilometer „ein wenig“ steigern oder „ein wenig“ halten konnte. Am Ende stand ein Halbmarathon in etwa zwei Stunden. Kein Wunder, kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Es war exakt das, was an diesem Tag drin war.
Zielbogen, Medaille, dieses unscheinbare Glück
Der Zieleinlauf war genau das, was ich mir gewünscht hatte, als ich „Ironman“ statt „kleines Rennen“ anklickte: Teppich, Bogen, Musik, Menschen, die genau in diesem Moment nur für deinen Schritt klatschen, obwohl sie das für tausend andere Schritte auch tun werden. Ich sah den Bogen, ich hörte meinen Namen, ich lief mit Grinsen über die Linie. Medaille um den Hals, Finisher-Shirt, Zielverpflegung – und dann dieser winzige Moment zwischen „ich hab’s“ und „was jetzt?“, in dem der Körper von „Alarm“ auf „Atmen“ umstellt. Ich setzte mich kurz auf eine Bank am Rand, trank, kaute, atmete. Kein großer Triumph, aber ein ehrlicher. Und das fühlte sich gut an.
Was dieser Tag mich gelehrt hat – und was ich sofort ändern würde
Es gehört zur Wahrheit dieses Rennens, dass ich viel richtig und ein paar Dinge falsch gemacht habe. Beides ist wertvoll.
Was gut war:
- Organisation im Vorfeld. Listen, Fotos vom Beutelinhalt, klare Aufteilung. In der Wechselzone hatte ich nie das Gefühl, etwas zu suchen.
- Verpflegungsaufnahme (Runde eins). Der erste Aid-Station-Durchlauf lief sauber. Das zeigt: Die Technik ist da, sie muss nur verlässlicher werden.
- T2-Strategie. Der kurze Sitz, die bewusste Atmung, die Reihenfolge – das machte die ersten Laufkilometer deutlich angenehmer.
Was schiefging (und wie ich’s angehe):
- Startgruppe Schwimmen. „Rücksicht“ ist gut, „Selbstsabotage“ nicht. Nächstes Mal stelle ich mich eine Gruppe weiter nach vorn, nehme mir das Recht auf einen früheren Start und damit frischere Arme. Das ist kein Drängeln, das ist klug.
- Gel-Notfall. Päckchen können spinnen. Ich habe seitdem die Gewohnheit, den oberen Zip minimal vorzuschneiden (ohne zu öffnen), damit ich in Bewegung kontrollierter reiße. Und: Einen Minilappen in T1 (im Beutel) für genau solche klebrigen Notfälle.
- Flaschenhalter hinten. Was auf ruhigen Runden hält, fliegt in Rennen. Ich checke seitdem den Klemmwinkel, nutze ggf. Gummibänder zur Sicherung oder steige auf seitliche Halter um. Und: ich trainiere Flaschenrückgabe/Verstauen unter Puls.
- Hitze/Gegenwind-Plan. Gegenwind ist ein Energiesteuerungstest. Künftig halte ich eine untere und obere Leistungsleitplanke bereit (z. B. 75–85% FTP) und bleibe darin; keine „Ich drücke jetzt durch“-Eskapaden. Ernährung: früher starten, konstanter bleiben (z. B. 70–90 g Carbs/Stunde), Salz pro Stunde fix einplanen, nicht nach Gefühl.
Checkliste, die ich seit Rügen benutze:
- Vor dem Rennen (T-2/T-1):
– Beutel packen, Foto machen, am Handy markieren.
– Sonnencreme VOR dem Neo, nicht erst in T1.
– Kleines Handtuch in jeden Beutel.
– Salz und Magen-Backup (Kaugummi, Rennbrille-Ersatz) einpacken.
– Flaschenaufnahme im Training simulieren (Tempo, Griff, Verstauschema). - Rennmorgen:
– Pumpe, Flaschen, Gels, Salz, Pflaster in der Handtasche.
– Reifen auf Renndruck bei realer Außentemperatur.
– T1/T2 abgehen, „Ankerpunkte“ merken.
– Startgruppe bewusst wählen (nicht aus Angst). - Unterwegs:
– Uhr-Alarm alle 15 Minuten (Trinken/Essen).
– Bei Klebrigkeit: Lappen, Wasser, erst dann weiter.
– Gegenwind: Trittfrequenz hoch, Oberkörper ruhig, Ego runter.
Kleine Szenen, die bleiben
Zwischen all den Zahlen sind es die Bilder, die ich mitgenommen habe: Die Rezeptionistin, die nachfragt, ob ich das Rad wirklich aufs Zimmer nehmen muss – und danach selbst den Lift aufhält. Der Helfer an der Verpflegungsstation, der mir, ohne einen Ton, eine zweite Flasche reicht, als er meinen Blick sieht. Der Mitathlet, der mich wegen der Gelpackung zurechtweist – und damit Recht hat, auch wenn der Moment unglücklich war. Die Sportlerin neben mir, die im Ziel mit geschlossenen Augen auf dem Asphalt sitzt und die Medaille mit beiden Händen festhält, als hätte sie Angst, dass sie wieder verschwindet. Der Satz „erst mal setzen“ von dem Athleten an der Radstation, der plötzlich zum Motto der zweiten Runde wurde. Das leise „Du schaffst das“ am Streckenrand, das man vielleicht nur hört, weil man genau in diesem Moment bereit ist, es zu hören.
War es die richtige Entscheidung, den „großen“ Namen fürs erste Mal zu wählen?
Für mich: Ja. Nicht, weil alles perfekt lief, sondern weil ich genau diese Kombination aus Logistik, Bühne, Dichte erleben wollte. Ich habe Einblicke bekommen, die mir bei kleineren Rennen entgangen wären – im Guten wie im Anstrengenden. Ich habe gelernt, dass „professionell“ nicht „fehlerfrei“ bedeutet, sondern „verlässlich in den großen Linien“. Und ich habe verstanden, dass man in diesem Rahmen umso mehr für die kleinen Linien selbst verantwortlich ist: Beutel, Flaschen, Sonnencreme, Startgruppe – alles Kleinkram, der das große Bild scharf stellt.
Würde ich Rügen wieder wählen? Vielleicht ja, vielleicht nein – das hängt vom Kalender, vom Training und von der Lust auf Wind ab. Aber ich bin dankbar, dass die erste Mitteldistanz diese Farben trug: Salzwasser, Teppich, Gegenwind, Applaus. Dass ich gelacht, geflucht, geschwitzt und am Ende gegrinst habe. Und dass ich am Tag danach beim Kaffee die Medaille auf dem Tisch drehen konnte und nicht dachte: „Was wäre gewesen, wenn…?“, sondern: „Was mache ich nächstes Mal besser?“
Nächstes Mal – konkret
- Startgruppe +5 Minuten schneller als der Bauch sagt.
- Flaschenaufnahme alle zwei Wochen im Training, auch müde.
- Gel-Setup mit einer Sorte, die ich blind öffnen kann, plus Backup im Oberrohrbehälter.
- Sonnencreme ritualisiert (Wecker am Handy 30 Min vor Start).
- Heckhalter testen oder auf Rahmenhalter umziehen.
- Gegenwind-Sessions auf der Runde: 10×(3′ gegen, 2′ mit) mit fixem Wattkorridor.
- Salzstrategie: 500–700 mg/h (je nach Hitze), nicht „nach Gefühl“.
Das ist nichts Heroisches, keine wilde Neuerfindung. Es ist Handwerk. Und Triathlon ist, bei aller Romantik, nun mal auch Handwerk.
Schluss: Warum ich mich wieder melde
Am Ende sah mein Zielbogen nicht aus wie eine Bestzeit. Er sah aus wie Erfahrung. Und für den ersten 70.3 ist das vielleicht sogar die beste Medaille, die man sich abholen kann. Ich habe den Tag nicht „überlebt“, ich habe ihn gebaut – mit ein paar wackeligen Steinen, aber einem ausreichenden Fundament. Die Marke „Ironman“ hat geliefert, was ich mir erhofft hatte: Struktur, Bühne, ein Gefühl von „groß“. Ich habe geliefert, was ich an diesem Tag liefern konnte: Beharrlichkeit.
Und genau deshalb plane ich weiter. Nicht weil ich etwas „geradebiegen“ muss, sondern weil ich diese Mischung aus Demut und Stolz mag, die der Sport einem schenkt. Rügen war der Anfang auf dieser Distanz. Der nächste Start wird anders sein – nicht größer, nicht kleiner, einfach klüger. Bis dahin trainiere ich nicht nur Kraulzüge und Übergänge, sondern auch Flaschengriffe, Beutellogik und Wettergelassenheit. Und ich übe das Grinsen fürs Ziel – sicherheitshalber.