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Das Jahr des „postponed“

Das Jahr des „postponed“

Wenn Kalender plötzlich zu Streichlisten werden und Pläne zu Fußnoten, sucht man sich Bilder, die das Unfassbare greifbar machen. So kam mir irgendwann der Gedanke an die poetischen, manchmal rätselhaften Jahresnamen, die in China seit Jahrhunderten durch die Zeit wandern: „Jahr des Drachen“, „Jahr des Ochsen“, „Jahr der Glückseligkeit“. Klingt nach Ordnung, nach Zyklus, nach etwas, das größer ist als wir. 2020 fühlte sich dagegen an wie ein aus dem Takt geratenes Metronom: ein Jahr des Abstandes, ein Jahr der verschobenen Startschüsse, ein Jahr der stillen Stadien. Und doch war es auch ein Jahr, das Dinge scharfstellte, die sonst im Lärm untergehen. Es hat uns den Luxus genommen, den wir Training nennen – und uns gleichzeitig gezeigt, wie sehr wir ihn lieben.

Jahr des Abstands – eine Metrik zwischen Menschen

„Social Distancing“ – zwei Worte, die zu einer Maßeinheit wurden. 1,5 bis 2 Meter Luft zwischen Körpern, zwischen Stimmen, zwischen Atemzügen. Es ist seltsam, wie schnell man anfängt, Distanzen zu schätzen, ohne ein Maßband in der Hand zu halten. Der Blick lernt das, die Schultern merken es, der Schritt passt sich an. Wenn der Abstand nicht geht, dann Maske. Kein Schild, kein Panzer, keine Heldenrüstung – sondern eine textile Erinnerung daran, dass Schutz in diesem Fall heißt, den anderen zu schützen. Das ist eine Umkehrung vieler Gewohnheiten: Wir lernen, Rücksicht als aktive Handlung zu begreifen. Für das Training, für den Alltag, für das Miteinander.

Triathlon ist eigentlich das Gegenteil davon. Triathlon ist Nähe – nicht im Berühren, aber im gemeinsamen Puls. Es ist die Wechselzone, in der Helme klacken und Hände routinierte Handgriffe machen, der Gedrängel-Moment am Schwimmstart, der doppelte Atem vor der Boje, das surrende Kollektiv auf der Radstrecke, das Klatschen an der Laufstrecke. 2020 hat uns diese Kulisse genommen. Zurück blieben asphaltierte Einsamkeit, verlassene Bahnen, geschlossene Hallen. Und eine Frage: Was bleibt vom Sport, wenn die Bühne fehlt?

Der Streichkalender – Mallorca, Westfriesland, Duisburg

Für 2020 hatte ich mir viel vorgenommen. Es sollte ein Jahr mit markierten Wochenenden werden, mit Flugtickets und Packlisten, mit T1 und T2 an Orten, die ich noch nicht auswendig kannte. Ironman Mallorca im Mai stand als erstes auf der Liste – warmes Wasser, windumspülte Radstrecken, ein Saisonauftakt, der nach Salz und Sonne schmeckt. Dann kam die erste Corona-Welle, und mit ihr die Erkenntnis, dass Wettkämpfe mit mehreren tausend Menschen keine Randnotiz sind, sondern Infektionsbeschleuniger. Abstände, Hygieneregeln, Zuschauerbegrenzungen: Alles notwendig, alles sinnvoll – und alles in der Summe schlicht nicht kompatibel mit dem, was einen Ironman ausmacht. Ich weiß gar nicht, wie die genauen Regeln in Spanien zu diesem Zeitpunkt aufgeschlüsselt waren; in Deutschland jedenfalls waren Großveranstaltungen bis zum 31.08.2020 untersagt – und ein Triathlon mit 1500 Athletinnen und Athleten fällt klar darunter.

Der Veranstalter Ironman kommunizierte, wie Veranstalter eben kommunizieren, wenn sie zwischen Recht, Logistik und Erwartungshaltungen vermitteln müssen. Objektiv gesehen: Man hatte es in den AGB unterschrieben; subjektiv gesehen: Es fühlte sich hart an. Es gab keine Rückerstattung des Startgeldes, nur Optionen. Verschiebung auf einen Termin im Oktober (mit der Frage, ob der stattfindet und wie Mallorcas Wetter dann spielt), Wechsel auf zwei, drei andere Locations, oder eine Verlegung in ein unspezifisches 2021. Ich entschied mich für 2021. Nicht, weil ich eine glasklare Strategie hatte, sondern weil mir alles andere zu unsicher war oder zeitlich nicht passte.

Westfriesland im Juni – eine Premiere – setzte kurz darauf nach. Auch hier: Absage. Auch hier: Option aufs Jahr danach. Ich buchte, schon fast routiniert, den IM 70.3 Westfriesland für 2021. Und dann war da noch Duisburg, mein heuriger Heimtriathlon in Sachen Logistik, Anfang September: kurze Anreise, bekannte Wege, ein Rennen, das man aus dem Gefühl heraus laufen kann. Es gab lange keine klare Aussage vom Veranstalter. Realistisch war uns allen klar, dass es in der ersten Septemberhälfte nicht klappen würde. Kein Impfstoff, keine verlässlichen Behandlungspfade, sinkende Fallzahlen, ja – aber ein Wettkampfformat, bei dem sich Körperkontakt nicht völlig vermeiden lässt. Am Ende wurde auch Duisburg auf 2021 verschoben. Und in meinem Kalender war ein Sommer zu sehen, der aussah wie ein Schachbrett mit vielen leeren Feldern.

Das Verhältnis zur Marke – Bühne vs. Bilanz

Ich mag Ehrlichkeit, auch wenn sie knirscht: Bei Ironman bezahlt man einen Teil für den Namen. Das ist nicht per se schlecht. Eine Marke ist eine Leistung: verlässliche Organisation, eingespielte Prozesse, Sicherheit im Ablauf. Gleichzeitig gilt: Wenn es knallt, steht die Marke auch für den Umgang mit Kundinnen und Kunden. Rückerstattungen sind in solchen Szenarien kompliziert, rechtlich mehrschichtig, logistisch schwer abwickelbar. Ich kann die Argumente auf beiden Seiten nachvollziehen. In meinem Bauch blieb trotzdem eine Schwere – nicht, weil ich mein Startgeld „zurückhaben“ wollte, sondern weil ich mir flexiblere Antworten gewünscht hätte, die mehr sind als ein „nimm einen anderen Termin“. In Foren und Gruppen wurde viel diskutiert, teils sehr hitzig; ich merkte, wie mir das Energie kostete, die ich lieber auf der Rolle lassen wollte. Am Ende wählte ich die Pragmatik: Haken an 2020, Blick auf 2021.

Training in Quadraten – wenn der Radius kleiner wird

Mit der Bühne verschwanden nicht automatisch die Beine. Die wollten laufen, treten, schwimmen – oder wenigstens so tun. Also habe ich das gemacht, was viele gemacht haben: Training in Quadraten. Kilometer, die man von der Haustür aus zieht. Schleifen, die man so oft läuft, bis man die Risse im Asphalt kennt. Ausfahrten, die Windrichtung zur Streckenplanung machen. Die Stadt wurde zur Landkarte, die Landkarte zum Labyrinth, das ich irgendwann blind durchfuhr.

Laufen war der einfachste Teil. Schuhe an, Tür auf, los. Ich habe mich verliebt in frühe Morgen, wenn die Luft noch klar ist und die Wege leer sind, und in späte Abendläufe, wenn der Tag mit den Fußsohlen spricht. Ich habe an mir entdeckt, dass Tempoeinheiten auf einsamen Wegen eine eigene Intimität haben: Kein Pacer, keine Bahn, nur der Atem und die Uhr. Ich habe Läufe in Segmenten gebaut: drei Kilometer warm, fünf mal drei Minuten „scharf“ mit Gehpause, zehn Minuten „locker“, und am Ende der Steigerungslauf auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt, dessen Schranke immer um dieselbe Zeit zugeht. Es sind die kleinen Marker, die aus Tagen Routinen machen.

Radfahren war komplizierter. Ich arbeite gern mit Zielpunkten: ein Berg, ein Café, ein Aussichtspunkt. Das fiel weg. Es blieb die Rolle im Wohnzimmer, Zwift auf dem Bildschirm, Rouvy mit seinen Videostrecken, manchmal einfach nur die Wand und eine Playlist. Wer Indoor-Training immer als Notlösung gesehen hat, hat 2020 eine neue Beziehung dazu aufgebaut. Ich habe es schätzen gelernt, 2×20 Minuten bei konstanter Leistung zu fahren, Over/Unders zu hassen (und zu lieben), die Trittfrequenz zu variieren, ohne an eine Kreuzung zu denken. Draußen fuhr ich bewusster, oft allein, immer mit der Maske in der Trikottasche – nicht, weil ich sie beim Fahren brauchte, sondern für den Fall, dass an einem Kiosk oder an der Ampel die Nähe doch zu nah wurde.

Schwimmen – ach Schwimmen. Die Hallen waren zu, die Seen zu kalt, die Bäder zu. Man kann das weglächeln, wenn man es zwei Wochen aushalten muss. Wenn es Monate werden, ist es ein Loch. Ich habe Trockenübungen gemacht, das berühmte Gummiband an der Tür, Zugseile, Liegestütze in Varianten, die ich vorher nicht kannte. Es ersetzt Wasser nicht. Aber es verhindert Absturz. Als die Freibäder langsam wieder öffneten, waren die Plätze limitiert, die Bahnen vorab zu buchen, die Zeit begrenzt. Ich saß plötzlich morgens um sechs am Rechner, um Slots zu klicken, wie andere Konzertkarten. Ausdauerathleten sind planungsstark; 2020 hat diese Stärke zum Survival-Tool gemacht.

Vereinsleben auf Abstand – Training ohne Hände

Mein Verein ist ein Teil meines sportlichen Lebens, den ich nicht missen möchte: gemeinsame Einheiten, gemeinsame Späße, gemeinsames Leiden. 2020 wurde daraus eine Reihe von Kacheln auf dem Bildschirm. Zwift-Rides mit Discord-Chat, Stabi via Video, Yoga mit Mikro aus und Publikum im Wohnzimmer. Es ist nicht dasselbe. Aber es ist etwas. Ich habe staunend erlebt, wie schnell Menschen Formate erfinden, die Nähe simulieren. Wir haben Segment-Challenges gemacht: jeden Monat zwei, drei definierte Abschnitte, die man individuell läuft oder fährt, mit Vergleich und Tabelle – nicht als Wettkampf, sondern als Gesprächsanlass. Wir haben uns am Rand von Parkplätzen getroffen, als es wieder erlaubt war, mit Abstand, mit Maske, mit dem Lachen in den Augen.

Der mentale Haushalt – Was Pläne mit dem Kopf machen

Wenn du im Januar deinen Saisonplan schreibst, schreibst du auch eine Geschichte: von Aufbau, Peak, Taper, Race, Erholung. 2020 war ein Geschichtenabbruch. Wer nur den Wettkampf als Sinn kennt, fällt tief. Ich musste mir andere Ziele suchen. Prozessziele statt Ergebnisziele. „Heute sauberer Tritt über 90 Minuten“, „diese Woche fünfmal Stabi“, „Schlaf vor Mitternacht“, „40 Minuten in Zone 2 trotz Lust auf Zone 3“. Es klingt trocken. Es fühlte sich irgendwann richtig an. Ich habe wieder gelernt, meine Form nicht an einer Zahl zu messen, sondern an dem Gefühl, wie ein Lauf trägt, wie ein Tritt klingt, wie ein Rücken nach dem Aufstehen spricht.

Natürlich gab es auch die Dunkeltage. Die Tage, an denen der Regen nicht aufhört, der Nachrichtenstrom die Nerven aufweicht, an denen man doomscrollt, statt zu dehnen. Ich habe versucht, mit mir so umzugehen, wie ich mit Freundinnen und Freunden umgehe, wenn sie kämpfen: freundlich. Mal blieb das Rad stehen, mal wurde der Lauf verschoben, mal gab es Kuchen statt Koppel. Manchmal ist der Verzicht auf eine Einheit die klügste Einheit.

Kleine Siege – wenn die Ampel grün bleibt

2020 hat mich gelehrt, kleine Siege als das zu akzeptieren, was sie sind: Sinnstifter. Ein Lauf, bei dem ich ohne Uhr laufe und am Ende überrascht bin, wie ruhig die Atmung war. Eine Radfahrt, bei der die Ampel genau in dem Moment grün wird, in dem ich den Berg anrolle. Ein Schwimmslot, den ich last minute bekomme, und das Wasser, das beim Eintauchen kalt ist und dann freundlich. Eine Nacht, in der ich sie benehme, die Grübelstimme. Das sind keine Trophäen. Aber sie sind brauchbare Bausteine für ein Jahr, das große Siege verweigert.

Das Thema Geld – Rückerstattung, Gutschein, Gefühl

Ein Wort noch zu Startgeldern. Ich bewege mich nicht gerne auf juristischem Terrain, weil dort viele Wahrheiten nebeneinander stehen. Als Kunde wünscht man sich Fairness. Als Veranstalter wünscht man sich Überleben. Dazwischen liegen AGB, Versicherungen, staatliche Hilfen, und Menschen, die im Hintergrund Excel-Tabellen anstarren, um zu entscheiden, wie viele Events es im nächsten Jahr überhaupt noch geben kann. Ich habe an mir gemerkt, dass mich die Prinzipdiskussion mehr zermürbt als der Verzicht auf einen Start. Also habe ich für mich eine innere Regel gefunden: Wenn ich es tragen kann, trage ich es. Ich wähle einen neuen Termin, statt eine Rückzahlung zu fordern. Ich weiß, dass nicht jeder diese Wahl hat, und ich verurteile niemanden, der sie anders trifft. Aber 2020 war für mich auch das: ein Solidaritätsjahr, in dem Sportökosysteme nur überleben, wenn viele Menschen mitgehen.

Alltagsszenen – das, was im Tagebuch stehen bleibt

Ich könnte 2020 auch als eine Sammlung von Alltagsszenen schreiben: Das Klopfen der Nachbarin an der Wand, weil meine Rolle um 6:15 Uhr an Werktagen vielleicht doch etwas zu früh war. Der Ladenbesitzer, der mir die Maske reicht, weil ich sie in der Trikottasche vergessen habe, und der Blick dazu ist kein Tadel, sondern fürsorglich. Der Polizist, der am See freundlich darauf hinweist, dass die Abstände auch in der Schlange für die Pommes gelten. Die Rentnerin, die im Park bewusst einen Schritt zur Seite macht – und ich bewusst ebenso. Die Kinder, die im Innenhof um die Wette laufen, und das Mädchen, das mich fragt, ob ich „echter Sportler“ sei, und ich antworte, dass echte Sportler diejenigen sind, die dran bleiben, wenn niemand klatscht.

Technik und Taktik – was ich angepasst habe

Ich habe 2020 auch genutzt, um Strukturen zu ändern, die ich sonst aus Gewohnheit mit mir getragen habe. Krafttraining war für mich früher das, was man macht, wenn man Zeit hat. Plötzlich war es das, was ich machte, wenn ich keine Bahn hatte. Bänder, Kettlebell, Körpergewicht – ich habe Muskeln wiederentdeckt, die im Ausdauermodus gerne untertauchen. Ich habe meine Ernährung justiert – nicht im Dogma, sondern im Timing: mehr Protein nach harten Einheiten, Kohlenhydrate bewusst rund um intensive Tage, Gemüse als Standard, nicht als Deko. Ich habe das Schlafen ernster genommen. Und ich habe vor allem die Erholung neu bewertet: Nicht als „Nichts tun“, sondern als aktives Gestalten – spazieren, mobilisieren, lesen, ohne dass es Training ist.

Virtuelle Startbögen – Wettkampfgefühl aus Bits

Ich war lange skeptisch bei virtuellen Rennen. 2020 hat mir gezeigt, dass sie mehr sind als ein Gimmick. Ich habe Zwift-Rennen gefahren, bei denen der Puls genauso klingelte wie draußen, ich habe virtuelle 10-Kilometer-Läufe gemacht, bei denen die Splits am Ende genau dieselben Geschichten erzählen: zu schnell los, mit Gefühl gefinisht, zufrieden gelächelt. Ist es dasselbe wie unter Applaus? Nein. Aber es ist nah genug, um das System zu erinnern, was Wettkampf heißt: Ein bisschen weh tun, kontrolliert, mit Sinn.

Zwischenfazit – ein Jahr ohne Ziellinie und doch mit Richtung

Wenn ich 2020 als Überschrift „Jahr des Postponed“ gebe, ist das nicht nur Ironie. Es ist auch eine Erkenntnis: Verschieben ist nicht Aufgeben. Es ist Halten. Es ist die Kunst, Kraft zu konservieren, ohne sie zu erstarren. Ich habe gemerkt, dass der Sport mich trägt, auch wenn er mich gerade nicht belohnt. Ich habe gemerkt, dass ich ohne Rennen trainieren kann – nicht für nichts, sondern für mich. Und ich habe gemerkt, dass die Community nicht nur aus Startnummern besteht, sondern aus Menschen, die sich zuwinken, wenn sie sich nicht umarmen dürfen.

Blick nach vorn – 2021 als Versprechen und Aufgabe

Für Mallorca, Westfriesland, Duisburg gibt es neue Daten. Termine auf Kalendern, die sich wieder nach Zukunft anfühlen. Ich gehe sie anders an. Mit der Demut eines Jahres, das uns gezeigt hat, dass Planung und Planbarkeit verwandt, aber nicht identisch sind. Mit der Lust auf echte Wechselzonen, mit dem Bedürfnis, die Helferinnen und Helfer an der Strecke bewusst anzulächeln, weil ich weiß, was es bedeutet, wenn sie da sind. Mit einer Verpflegungsstrategie, die nicht nur im Excel funktioniert, sondern auch im Chaos. Mit dem Wissen, dass ein verlorener Schwimmslot nicht das Ende ist, sondern eine Einladung, die Zugseile zu bestellen. Mit einem Fahrraddruck, der ein paar psi weniger hat, weil ich gelernt habe, dass Komfort Geschwindigkeit nicht immer kostet. Mit einer Kappe im Laufbeutel, selbst wenn die Sonne im Morgen graut – weil Hitze nicht fragt, ob ich gerade auf sie eingestellt bin.

Und vor allem mit einem Satz im Hinterkopf, der 2020 zu meinem Mantra wurde: „Ich trainiere, weil ich kann – nicht, weil ich muss.“ Dieser Satz ist ein Privileg, und ich behandle ihn als solches. Ich denke an die, die krank waren, die Pflege geleistet haben, die Familie jongliert haben, die Existenzen retten mussten. Mein Sport fühlt sich manchmal klein an neben all dem. Und dann wiederum fühlt er sich wichtig an, weil er mich zu einem besseren Menschen macht: geduldiger, strukturierter, freundlicher zu mir und anderen.

Schluss – das leise Ja

Vielleicht ist das der größte Widerspruch dieses Jahres: Es hat mir die lauten Momente genommen – die Startschüsse, die Zieleinläufe, die Pasta-Partys –, und dafür leise Momente geschenkt, die ich vorher überlief. Das Klicken der Pedale auf der Rolle, wenn der Widerstand plötzlich genau richtig ist. Der Atem, der beim dritten Intervall nicht hetzt, sondern trägt. Das Wasser, das in den Ohren rauscht, wenn ich nach Wochen der Enthaltsamkeit wieder eine Bahn ziehe. Die Stille nach einem frühen Lauf, in der die Welt fünf Minuten lang wartet, bevor sie wieder losrennt.

2020 war, wenn man es in ein Etikett pressen will, das Jahr der Postponements. Aber es war auch das Jahr des Ja. Das Ja zum Dranbleiben, zum Rücksichtnehmen, zum erneuten Versuch. Das Ja dazu, Startnummern zu lieben, auch wenn sie in der Schublade liegen. Das Ja dazu, mit anderen in Abstand verbunden zu bleiben. Und das Ja dazu, die Bühne zu vermissen, ohne die Probe zu verschmähen.

Ich freue mich auf die erste Wechselzone, in der ich wieder zu nah an anderen Helmen vorbeilaufe und trotzdem gemeinsam respektvoll bleibe. Ich freue mich auf den ersten Startbogen, der nicht nur im Kopf steht. Und ich freue mich auf das erste Ziel, das wieder ein Ort ist und nicht nur ein Gefühl. Bis dahin trainiere ich Quadrate, sammle kleine Siege, halte Linien. Und wenn ich mir selbst einen Namen für das nächste Jahr geben darf, dann vielleicht diesen: Jahr des langen Atems.


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