Es war der zweite Anlauf, dieselbe Distanz, ein anderes Terrain, neue Variablen: Ironman 70.3 Kraichgau – 1,9 km Schwimmen, 90 km Rad, 21,1 km Laufen. Die große Überschrift blieb gleich, der Untertitel lautete diesmal: hügeliger, heißer, härter. Schon bei der Anmeldung hatte ich mir eingeredet, dass die kürzere Anfahrt im Vergleich zu Rügen vieles einfacher machen würde. Weniger Reisestress, mehr Fokus, weniger Logistik. Die Realität nahm diesen Optimismus freundlich zur Kenntnis und legte mir dann doch ein paar Steine in den Weg – beginnend mit der Hotelsuche, die ich großzügig delegiert hatte: an den Zufall.
Anreise, Partnerhotel und der Satz mit „an der Radstrecke“
Ich tat, was viele tun, wenn die guten Unterkünfte schon weg sind: Ich griff zur „sicheren Bank“ und buchte eines der Partnerhotels des Veranstalters. In der Beschreibung stand dieser Satz, der in meinem Kopf wie eine Beruhigungspille wirkte: „Liegt optimal an der Radstrecke.“ Heute lache ich zärtlich über meine damalige Naivität. Eine Radstrecke, die 90 Kilometer lang ist, bietet eine erstaunlich große Auswahl an „optimalen Lagen“. Mein Hotel lag tatsächlich an der Strecke – allerdings an einem Abschnitt, der mir für morgens, fürs Einchecken, fürs Pendeln zwischen zwei Wechselzonen so gar nichts nützte. Es war ein nettes Haus, die Zimmer sauber, das Frühstück sportlerfreundlich, die Rezeption auf Triathlon eingestellt, nur eben… weit. Beim Frühstück erfuhr ich, dass es eine ganze Reihe Mitathlet:innen ähnlich erwischt hatte. Wir nickten uns zu wie Menschen, die auf denselben Werbeslogan hereingefallen waren.
Zwei Wechselzonen, drei Fahrten, fünf Baustellen
Kraichgau hat eine Besonderheit, die man kennen und mögen sollte: zwei Wechselzonen. Das ist organisatorisch machbar, aber es vervielfacht Wege, Entscheidungen, Pufferzeiten. Dazu kamen in diesem Jahr diverse Baustellen und Sperrungen, die Navigationssysteme zuverlässig verwirrten. Ich fuhr die Strecke mehrfach ab, zuerst zur Startunterlagenausgabe, dann zur Besichtigung von T2, später wieder zurück. Es waren nicht die ganz großen Distanzen, aber genug, um zu merken: Jeder falsch gesetzte Abzweig kostet Nerven und Minuten, und am Renntag ist beides knapp. Also legte ich mir mentale Wegmarken zurecht: hier rechts halten, da früh einfädeln, dort nicht der großen Beschilderung trauen, sondern dem kleinen Schild Richtung Parkplatz X.
Die Startunterlagen holte ich routiniert ab – Wristband, Startnummer, Aufkleber fürs Rad, Beutel in den Farben der Wechsel, Zeitnahmechip. Die Expo streifte ich nur kurz; alles, was da glänzte, war am Tag darauf keine Hilfe mehr. Wichtiger war mir, T2 zu sehen, die letzte Kurve vor der Lauftasche, den Eingang ins Zelt, den Ausgang auf die Laufstrecke. Ich laufe Wechsel gern im Kopf durch, bevor ich sie laufe. Je mehr vertraut ist, desto weniger entscheidet die Hektik.
Abends im Hotel dann die Kleberei: Nummern aufs Rad, auf den Helm, auf die Beutel. Ich legte die Transition-Bags wie kleine Inseln aus – was kommt in den blauen Beutel (Bike), was in den roten (Run), was bleibt im Special Needs, was muss morgens in der Hand sein. Kraichgau hat die Eigenheit, dass man am Renntag nur an einen der Beutel kommt (Wasser→Rad). Der Laufbeutel geht direkt nach T2 und ist für letzte Korrekturen nicht mehr erreichbar. Diese Info saß mir wie ein Post-it auf der Stirn: Heute nichts vergessen, was du erst morgen beim Laufen brauchen könntest.
Kein Probeschwimmen, dafür frühes Zubettgehen – Theorie und Praxis
Eigentlich hatte ich mir ein kurzes Probeschwimmen im See vorgenommen. Wassertemperatur testen, den Neo sortieren, die erste Atempanik des Jahres im Freiwasser kontrolliert abarbeiten. In der Praxis scheiterte das an den Öffnungszeiten und am Zugang: Eintritt, Zeitfenster, Umwege – die Summe aus Aufwand und Nutzen überzeugte mich nicht. Ich strich den Plan und beruhigte mich mit dem Gedanken, dass ich auch ohne Generalprobe schon oft genug in kaltes Wasser gesprungen war. Früh ins Bett war der neue Plan. Sagen wir: früher als sonst. Die Mischung aus Reisemüdigkeit und Vorfreude hat mich dann doch lange wachgehalten. Ich ließ das Licht aus und sortierte Übergänge im Kopf: Ausstieg – Brille hoch – Reißverschluss – Tasche – Helm – Brille – Socken? – Schuhe – Riegel – Rad schieben – Mount Line.
Rennmorgen: knapp dran, trotzdem drin
Der Rennmorgen begann mit dieser Mischung aus Geschäftigkeit und Leere. Ich frühstückte leicht und funktional. Meine Trainingskollegen warteten bereits, ich war knapp in der Zeit, was mir nicht gefällt, mich aber auch nicht mehr in Panik versetzt. Luft in die Reifen, Flaschen befüllen, Gels platzieren, Trinksystem kontrollieren – Kleinkram, der am Vortag zehnmal perfekt war und am Renntag trotzdem noch einmal überprüft werden will. Dann der Griff zum Neopren: reinzwängen, hochziehen, die Schultern freimachen, die Kapuze richtig setzen. Ich dachte an Rügen und die Lektion, die ich dort gelernt hatte: Nicht zu defensiv stellen. Also reihte ich mich diesmal in eine schnellere Startgruppe ein – die bis 35 Minuten. Das fühlte sich frech an, aber ich hatte weniger Angst, jemandem im Weg zu sein, als Angst, ewig am Rand zu warten, bis ich überhaupt ins Wasser durfte.
1,9 km Schwimmen: Atem finden, Arme ordnen, 40–41 Minuten
Der Start war rollend; das nimmt die Extreme aus dem Getümmel, aber nicht die Nervosität. Der erste Kontakt mit dem Wasser bitzte kalt, beruhigte aber sofort, sobald der Körper sich an den Druck des Neos erinnerte. Die ersten fünfzig Züge sind bei mir selten elegant. Ich hake Schultern frei, ordne die Atmung (zwei, drei Züge pro Seite), nehme mir bewusst diesen halben Meter Raum, den das Wasser mir gibt, wenn ich freundlich bleibe. Sighting war okay; ich fand mich in einem Feld wieder, das mich nicht überrollte, aber auch nicht einschläferte. Zwei-, dreimal wechselte ich ins Brustschwimmen, wenn die Orientierung schwammig wurde, dann wieder Kraul, ruhig, wiederkehrend.
Ich habe mich im Wasser nicht gehetzt. Das Garmin-Piepsen kurz vor dem Ausstieg fühlte sich an wie ein Schulterklopfen: Du bist im Plan. Mit 40–41 Minuten war ich nicht schnell, aber deutlich früher draußen, als wenn ich mich in eine langsamere Welle gestellt hätte. Vor allem war ich frisch genug, um T1 nicht zu verschenken.
T1: die blaue Tasche, das Zelt, der erste Hitzeschlag im Kopf
Der Lauf aus dem Wasser in die Wechselzone war gefühlt lang – genug, um den Puls zu sortieren und trotzdem keine Zeit zu verlieren. Ich griff die blaue Tasche, schlüpfte ins Zelt, Helm, Brille, Schuhe, Startnummer nach hinten, ein Schluck aus der Flasche. Ein Helfer reichte mir Sonnencreme, ich nahm sie dankbar, trug sie aber im Affekt nur halbherzig auf. Ein Fehler, wie sich zeigen sollte. Draußen spürte ich die erste Hitze des Tages, eine trockene Wärme, die aus dem Asphalt aufstieg. Ich atmete einmal tief durch. Jetzt kam der Teil, den ich in meinen Trainingswochen zu glatt gedacht hatte.
90 km Rad: Hügelland, Taktfehler, Hitzewand – und der Stopp bei km 70
Die Kraichgau-Radstrecke ist rollend im Wortsinn: permanent kleine Anstiege, kurze Abfahrten, kaum ein Abschnitt zum „einrasten“. Ich hatte sie unterschätzt. Nicht, weil ich nicht klettern kann, sondern weil ich die Summe aus Hitze und Rhythmuswechseln nicht geübt hatte. Ich hatte auf Konstanz trainiert, die Strecke verlangte Variabilität. Schon nach einigen Kilometern wusste ich: Das wird ein Tag, an dem Pacing nicht heißt „Wattzahl halten“, sondern „Körper lesen“.
Die erste Verpflegungsstation kam, als ich sie brauchte – und ich verpatzte sie grandios. Der Plan war simpel: Erst Wasser fürs Trinksystem, dann Iso für den Flaschenhalter, zur Not eine Cola als Rettungsanker. Die Praxis: Ich griff nach der Wasserflasche, sie flog mir beim Aufnehmen aus der Hand. Nächster Griff: Iso – ich bekam sie nicht zu fassen, rutschte ab, vorbei. Übrig blieb die Cola, die ich im Normalfall erst später einbaue. Ich nahm sie, trank zwei Schlucke, und stand direkt vor dem Ende der Littering-Zone. Mein Flaschenhalter war besetzt, das Trinksystem nur mit einem Rest gefüllt, die Cola-Flasche in der Hand – und keine Zeit zum Grübeln. Ich musste sie wegwerfen. Das tat nicht nur dem Herzen weh, sondern auch der Bilanz. Was bleibt? Nichts. Oder genauer: zu wenig. Ich fuhr weiter und merkte, wie die fehlende Flüssigkeit, die Salze, die Kohlenhydrate ihren Tribut forderten. Hitze macht Rechnungen teurer.
Ich versuchte, mich bis zur nächsten Station durchzumanövrieren, war aber spürbar aus dem Takt. Die Hügel, die ich an guten Tagen liebe, wurden zu Störenfrieden. Ich blieb ruhig, senkte die Wattspitzen, trat runder, dachte in Abschnitten: bis zum nächsten Schatten, bis zur nächsten Kuppe, bis zur nächsten Flasche. Bei Kilometer 70 merkte ich, dass ruhig bleiben nicht mehr reichte. Ich rollte links an die Verpflegung, bremste, stieg ab, stellte mich hin, trank Wasser, Iso, noch ein Wasser, atmete. Die Helfer sahen mich an, fragten, ob sie die Sanis rufen sollten. Ihr Blick sagte mir, dass ich nicht besonders heldenhaft aussah. Ich verneinte. Einige Mitathlet:innen rollten langsamer an mir vorbei, fragten, ob ich Hilfe brauche. Ich winkte dankbar ab. Da ich wusste, dass offizielle Hilfe im Zweifel das Aus bedeutete, sortierte ich mich innerlich, so gut es ging, und fuhr wieder an. Es war nicht glamourös, aber es war ehrlich.
Der Rest der Radstrecke war ein Kampf. Kein heroischer, eher der zähe Widerstand gegen die Idee, dass heute nicht dein Tag ist. Manchmal ist genau das die Aufgabe: nicht mit Gewalt zu reparieren, sondern schadensarm ins Ziel zu bringen, was noch drin ist. Ich fuhr die letzten Kilometer konservativ, nicht, weil ich etwas sparen wollte, sondern weil ich Schmerzen vermeiden wollte, die auf der Laufstrecke größer werden.
T2: das Profigefühl, die rote Tasche, der kurze Sitz
Die Abfahrt in T2 hatte etwas Versöhnliches. Man nimmt das Rad ab, und ein Helfer nimmt dir das Rad ab. Dieses kleine Profigefühl („Valet-Bike-Park“) macht etwas mit einem, auch wenn man weit hinter dem eigenen Wunschtempo liegt. Ich lief in die Beutelgasse, und da zeigte sich ein kurioser Vorteil des späten Ankommens: Weniger Beutel an den Stangen, schneller gefunden, kein Suchspiel. Ich nahm die rote Tasche, rein ins Zelt, Laufschuhe an, Startnummer nach vorne, Sonnenbrille auf, Sonnenspray nachgetragen (diesmal gründlicher), kurz hinsetzen, zwei Atemzüge. Dann stand ich wieder.
21,1 km Laufen: vier Runden, viele Gesichter, Schattenjagd
Die Laufstrecke war eine Runde, die man mehrfach läuft – ich hatte vier Schleifen auf dem Zettel. Ich weiß, dass viele Rundenpsychologie nicht mögen, ich mag sie, wenn ich müde bin. Jede Runde hat Wahrzeichen: den Baum, an dem ich trinke, die Ecke, an der ich schiebe, die Gruppe, die immer klatscht, die Wasserstelle, bei der der Schwamm besonders kalt ist. Die Hitze stand über der Strecke wie eine unsichtbare Decke. Ich suchte Schatten, wo keiner war, und Rhythmus, der sich immer dann einstellte, wenn ich die Uhr vergaß. Ich lief ehrlich, nicht schnell.
Es war der erste sehr warme Tag des Jahres. Das sah man. Entlang der Strecke lagen Athlet:innen am Rand, manche auf dem Rücken, manche vom Sanitäter betreut, manche einfach in sich zusammengesackt im Schatten eines Zauns. Es war ein Bild, das Respekt erzwingt. Ich justierte meine Verpflegung: an jeder Station Wasser trinken, Wasser über den Kopf, wenn möglich Eis in die Kappe, ein Schluck Iso jedes zweite Mal, Cola in der zweiten Hälfte, kleine Salztabletten (die ich zum Glück dabeihatte) nach Gefühl. Ich nahm mir vor, an jeder Stelle, an der Vereinskolleg:innen standen, sauber zu laufen. Nicht um zu schauspielern, sondern um mir selbst zu zeigen, dass ich kann, wenn ich muss. Es ist ein seltsamer Stolz, noch einmal Gas zu geben, wenn bekannte Gesichter an der Strecke stehen. Er hält nur ein paar hundert Meter, aber manchmal reicht das.
Die Kilometer waren kein Widersacher, eher Steine in einem Fluss, über die ich trat, einer nach dem anderen. Ich machte keine Mathe mehr. Zielzeit war aus dem Fenster, Zielgefühl blieb: ankommen. Zwischen Kilometer 18 und 19 kam eine kurze, klare Freude. Ich spürte, dass nichts mehr schiefgehen würde. Die letzten zwei Kilometer lief ich aufrecht, nicht schnell, aber sauber. Der Körper hatte verstanden, dass er liefern durfte, ohne zu kämpfen.
Zielbogen, Medaille, der kleine Frieden
Der Zieleinlauf ist derselbe Zauber wie immer: die Musik, die Tribüne, das Band, der Bogen, der Klick im Kopf, wenn man darunter durchläuft. Ich bekam die Medaille, nahm eine Flasche, einen Becher, einen Riegel, setzte mich für eine Minute. Kein Triumph, kein Drama. Ein Frieden. Ich hatte mir diesen Tag anders gewünscht, schneller, kontrollierter. Stattdessen bekam ich eine Lektion in Anpassung. Manchmal ist die richtige Reaktion nicht, lauter zu treten, sondern leiser. Ich war glücklich im Ziel, nicht weil ich eine Zahl unterboten, sondern weil ich mich nicht überfordert hatte.
Nachklang: Was gut lief, was schief ging, was ich ändere
Gut lief:
- Startgruppentaktik beim Schwimmen. Lieber eine Idee zu weit vorne stehen und sich ziehen lassen, als ewig auf den eigenen Slot warten. 40–41 Minuten ohne Drama – für meinen Trainingsstand perfekt.
- Rennintelligenz nach dem Verpflegungsdesaster. Nicht trotzen, sondern anpassen; nicht „Plan A auf Biegen und Brechen“, sondern Plan B ruhig zu Ende bringen.
- Wechsel: beide solide, keine Hektik, kein Verlegenheitsfehler. T2 dank Helfer und leererer Beutelgasse fast elegant.
Schief ging:
- Hotelwahl/Logistik. „An der Radstrecke“ ist kein Kriterium. Am Start, an T1, an T2, an Shuttles – das sind Kriterien. Nächstes Mal: Karte, Puffer, vorab Telefonat mit dem Hotel.
- Verpflegungsstation 1. Flaschenaufnahme trainiert man nicht auf Youtube. Üben, nicht glauben. Ich werde das Greifen, Quetschen, Verstauen im Wettkampftempo trainieren – inklusive Littering-Zonen-Management.
- Hitzeplan. Sonnenschutz zu spät und zu dünn, Salz zu reaktiv statt proaktiv, Eis erst in Runde 2. Nächstes Mal: Hitzeschmema als Checkliste: Creme, Kappe, Eis, Salz, Pace.
Was ich ändere:
- Training für „unruhige“ Profile: mehr Uphill-Tempoabschnitte, mehr Trittfrequenzwechsel, Over/Under-Sets. Die Rolle des Kraichgaus ist keine flache Rechnung; sie ist Wellenrechnung.
- Verpflegungs-Grundsatz: 70–90 g Carbs/Stunde auf dem Rad – früh beginnen, nie warten, bis Durst/Hunger „wirklich“ da ist. Zwei Systeme: BTA (Between-the-Arms) für Wasser, Cage für Iso. Reserveflasche hinten nur, wenn ich die Aufnahme sauber kann.
- Prä-Race-Routine: Probeschwimmen fix einplanen (zur Not 10 Minuten), Sonnencreme vor dem Neo, Salz bevor die Hitze „fühlbar“ wird.
- Material: leichtere Übersetzung für stete Wellen (z. B. 50/34 mit 11–30), Reifendruck an Hitze angepasst (2–3 psi weniger), helle Kappe fürs Laufen, leichte Socken statt keine (Blasenschutz bei Hitze).
- Mentale Marker: Jede Runde bekommt zwei „Aktivpunkte“ (hier richte ich mich auf, dort ziehe ich an), damit das Hirn nicht nur vermeidet, sondern gestaltet.
Kleine Szenen, die bleiben
Nicht alles in so einem Rennen ist Training, Taktik und Temperatur. Da sind diese Szenen, die man mit nach Hause nimmt: Der Helfer an der Radverpflegung, der mir ins Auge sah und ohne Worte reichte, was ich brauchte. Die Mitathletin, die an mir vorbeifuhr, langsam, und fragte „Alles gut?“, und ich sagte „Ja“, und wir wussten beide, dass das „Ja“ nicht stimmte, aber reichen musste. Der Moment, in dem mir eine Eiskugel in die Kappe gelegt wurde und ich zum ersten Mal am Tag Gänsehaut bekam, nicht vor Kälte, sondern aus Erleichterung. Das Nicken eines Fremden im Zielzelt, der sich neben mich setzte, wir beide schweigend, und nach einer halben Minute standen wir auf, als hätten wir ein Ritual vollzogen.
Warum „nicht geplante Zeit“ trotzdem ein Erfolg sein kann
Früher hätte ich mich an der Zahl festgebissen. Heute denke ich anders über Erfolg. Die Zielzeit ist wichtig; sie ist ein Messpunkt, ein Außen. Aber es gibt ein Innen, das manchmal wichtiger ist: Habe ich klug reagiert? Habe ich meinen Körper gesehen? Habe ich die Linie zwischen „mutig“ und „dumm“ respektiert? Heute kann ich sagen: Ja. Und deshalb war dieser Tag, trotz aller Pannen, kein Fehlversuch. Er war Erfahrung. Nicht die, die man auf dem Podium feiert, sondern die, die man mitnimmt und in nächsten Tagen einsetzt.
Der Blick auf „nächstes Jahr“
Der Satz fiel ganz automatisch, kurz nach dem Ziel: „Wunschzeit nicht erreicht – nächstes Jahr besser!“ Das klang im ersten Moment wie eine Floskel. Mittlerweile ist es ein Plan. Kraichgau verdient Respekt. Ich werde ihn mit vorbereiteten Händen bezahlen: Logistik sauber, Verpflegungsaufnahme geübt, Hitzeschema vorbereitet, Radprofil im Körper, Wechsel im Kopf. Und ein Hotel, das nicht „an der Strecke“, sondern am Punkt liegt, an dem ich morgens stehen muss.
Epilog: Warum ich mich auf diesen Sport immer wieder einlasse
Manchmal fragt man mich, warum ich mir das antue. Weil ich diesen Moment mag, in dem der Tag nicht läuft wie geplant und ich trotzdem den nächsten Schritt setze. Weil ich sehe, wie Helfer:innen und Zuschauer:innen aus einer Straße eine Strecke machen. Weil ich Kolleg:innen aus dem Verein am Rand sehe, und meine Beine auf rätselhafte Weise leichter werden. Weil ich im Ziel sitze, müde und zufrieden, und weiß: Das war nicht perfekt, aber es war echt. Und weil ich am nächsten Morgen die Medaille in der Hand wiege und denke: Wir sehen uns wieder, Kraichgau. Diesmal treffen wir uns mit Absprachen, nicht mit Annahmen.
Bis dahin trainiere ich nicht nur Beine und Lunge, sondern auch Hände (für Flaschen), Haut (für Sonne) und Hirn (für Hitze). Der zweite Ironman 70.3 war kein Märchen, eher ein Lehrbuchkapitel. Aber manchmal sind genau diese Kapitel die, die man später zitiert, wenn man anderen erklärt, wie man auf langen Strecken durchkommt. Und vor allem: wie man wiederkommt.